Leseprobe aus
The Moment we Feel
Kapitel 1
Rowan
»Wenn du mal fünf Minuten nicht in dein Handy oder deinen Kalender schaust, wird die Welt nicht gleich untergehen.« Träge lässt sich Cole neben mir auf den Sitz des Bandbusses fallen, der uns von einem Videodreh in Kanada zurück nach Seattle bringt. Zwei Becher hält er in der Hand, von denen er einen vor mich auf den Holztisch stellt. Ich schmunzle und sehe ihn erwartungsvoll an. Meine unausgesprochene Frage, ob sich mein Lebenselixier darin befindet, beantwortet er mit einem wissenden Zwinkern.
»Mag sein«, gebe ich stöhnend von mir, lege das Handy beiseite, und ignoriere die zig unbeantworteten Mails und überlaufenden Social-Media-Accounts, die auf mich warten. »Aber Vancouver war nicht geplant und hat mich in meinem Zeitplan dezent nach hinten geworfen.« Mit hochgezogenen Augenbrauen werfe ich ihm einen Blick zu. Mahnend, vielleicht auch ein wenig vorwurfsvoll, doch meine Mundwinkel zucken bereits, und so hebe ich den Kaffee an die Lippen und verstecke das Grinsen dahinter.
Cole bemerkt es dennoch und schüttelt amüsiert den Kopf. »Du bist genauso überzeugt von dem Song wie wir.«
Der Song. Noch nie in meiner zweijährigen Zeit als Managerin von Whipe Up habe ich so etwas erlebt. Was die Jungs letztes Wochenende in ein paar Stunden geschaffen und vor wenigen Tagen erst im Studio eingesungen haben, hat nicht nur sie selbst überrascht. Sogar die Plattenfirma brauchte keine langen Überredungskünste meinerseits, um zu verstehen, dass unser bisheriger Plan mit dem neuen Album und den Songauskopplungen nur halb so gut war wie dieses eine Lied. Also wurde alles innerhalb kürzester Zeit – und ich spreche gerade einmal von zwei Tagen – über Bord geworfen und neu geplant. Inklusive Videodreh, von dem wir jetzt zurückkehren.
Ich nicke zustimmend. »Jeder, der ihn gehört hat, ist das. Es wäre trotzdem sehr hilfreich, wenn ihr das nächste Mal ein bisschen früher mit so einem Song um die Ecke kommt.«
»Ach komm. Du liebst es doch, wenn wir dich vor derartige Herausforderungen stellen.«
»Sie liebt jede Art von Herausforderungen, nicht wahr, Roro-Kätzchen?« Ezra lässt sich mir gegenüber auf den Platz fallen und funkelt mich aus seinen tiefdunklen Augen an.
Meine Nackenhaare stellen sich auf. Wie immer, wenn er mich so nennt. Gott, wie ich es hasse. »Und ganz besonders jede, die du mir stellst.«
Er grinst wissend, beugt sich über den Tisch und greift nach meinem Kaffee, doch ich ziehe ihn zurück. »Vergiss es.«
Unbeirrt lehnt er sich weiter zu mir. »Ich werde ihn kriegen, das weißt du, oder?«
Ich hebe den Becher hoch und halte ihn über Coles Kopf, der unbeeindruckt unser Spiel verfolgt. Es ist immer das gleiche zwischen Ezra und mir. Wir provozieren, necken uns und albern herum. Niemals würde einer von uns kampflos einen möglichen Sieg verstreichen lassen. Ezra erhebt sich von seinem Sitz, macht Anstalten, über den Tisch zu klettern, was mich auflachen lässt. »Das. Ist. Mein. Kaffee. Ez.«
»Sagt wer?«, raunt er belustigt.
Auch ich stehe beinahe, soweit es der Sitz und Ezra, der schon viel zu nahe ist, zulassen. Ich rieche seinen herben Duft, sehe die Herausforderung in seinen Augen, spüre, wie die Wärme von ihm abstrahlt. Registriere, wie sich das Spiel seiner Muskeln unter dem Shirt abzeichnet. Dieser Kerl ist purer Sex. Er verkörpert es mit jeder verdammten Faser und dessen ist er sich durchaus bewusst. Ich weiß, dass er es einsetzt, um zu gewinnen, aber damit kommt er bei mir nicht weit. Wir beide sind ebenbürtige Gegner. Und auch dessen ist er sich durchaus bewusst. Ehe ich es schaffe, zu einer Antwort anzusetzen, wird mir der Kaffee aus unerwarteter Richtung entwendet.
»Danke«, sagt Blake und setzt sich auf die gegenüberliegende Sitzreihe neben Liam – dem vierten im Bunde der Rockband.
»Blake!«, fauche ich. »Ernsthaft?«
Er grinst, stellt den Becher neben sich ab und zieht sein Handy aus der Tasche, dann tippt er darauf herum und bekommt wieder dieses selige Grinsen, das er schon seit ein paar Wochen hat. Genauer gesagt immer dann, wenn er an Ally denkt. Eine tolle Frau, die ich vergangenen Montag kennenlernen durfte. Ich mag sie, weil sie echt ist. Authentisch. Nicht so wie die vielen aufgeblasenen Weiber, mit denen die Jungs – und vor allem Ezra – ständig verschwinden.
Fassungslos starre ich Blake einen Moment an, bevor ich zu Liam schaue, der einen Kopfhörer aus seinem Ohr zieht und mich fragend mustert, als hätte er von all dem nichts mitbekommen. Cole zuckt nur mit den Schultern, dann findet mein Blick wieder Ezra, der immer noch über den Tisch gebeugt dasteht und mich eingehend beobachtet. Mit zusammengekniffenen Augen lasse ich mich auf den Sitz gleiten. Ezra grinst siegessicher, obwohl auch ihm der Kaffee dank Blake verwehrt blieb. Mit einer schnellen Bewegung greift er nach einer meiner Strähnen und wickelt sie um seinen Finger. »Sieht so aus, als hätten wir dieses Mal beide verloren.«
Übertrieben betont hebe ich die Hand und ziehe meine roten Haare zurück. Dann tätschle ich Ezras Brust und schiebe ihn bestimmt von mir weg. »Sieht so aus, als gehe der nächste Kaffee auf dich.«
Unschuldig reißt er die Augenbrauen hoch, folgt meinem Druck und lässt sich zurück in die Polster sinken. »Auf mich?«
»Ja, auf dich, Ez.«
»Wie käme ich dazu?«, stichelt er.
Ich erwidere sein herausforderndes Grinsen. »Nun, du bist schuld an meinem Verlust.«
»Du hättest ihn so oder so verloren.«
Oh, wenn du wüsstest. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Blake sich den Becher langsam an den Mund führt. Innerlich winde ich mich bereits vor Genugtuung. Ich stütze die Ellbogen auf den Tisch, verschränke die Hände unter dem Kinn und lächle zuckersüß. »Höchstens für einen Schluck.«
»Ist das so? Und warum bist du dir da so sicher?«
»Bah!«, brüllt in diesem Moment Blake und spuckt den Kaffee zurück in den Becher.
Cole bricht in schallendes Gelächter aus, Liam springt erschrocken auf, um nicht von herumspritzenden Tropfen getroffen zu werden, und Ezra blickt fassungslos zu Blake. Nur ich halte an meinem süffisanten Grinsen fest. »Weil da Vanillesirup drin ist.«
»Du hast dir ernsthaft dieses ekelige Zeug aus Vancouver mitgebracht?«, fragt Ezra und schüttelt angewidert den Kopf.
Triumphierend lehne ich mich wieder zurück. »Fünf Flaschen. Fünf ganz herrlich wohlschmeckende Sirupflaschen. Und dank dir entgeht mir gerade ein wahrer Genuss!«
»Genuss? Das ist widerlich!«, mault Blake, der in den hinteren Teil des Doppeldeckerbusses stapft, wo sich eine kleine Küchenzeile befindet.
Es ist spät, als ich endlich meine Wohnung betreten und die turbulenten und vor allem lauten letzten zwei Tage hinter mir lassen kann. Mit einem wohligen Seufzen stelle ich die graue Reisetasche auf den Boden, streife meine Pumps ab und entledige mich der Jacke. Nur das kleine Licht im Flur knipse ich an und lasse alles unbedacht auf dem Boden liegen. Ich bin müde, unendlich k. o. und reif für ein wenig Entspannung. Barfuß tapse ich ins Badezimmer, drehe den Wasserhahn über der Wanne auf und lächle unwillkürlich, als ich die Lotion hinzugieße und sich verheißungsvolle Schaumberge bilden. Nichts, aber auch rein gar nichts, kann mich jetzt davon abhalten, in das heiße Wasser zu steigen. Doch gerade, als ich den obersten Knopf der Bluse öffne, klingelt es an meiner Tür und hört auch nicht mehr auf.
»Nein!« Stöhnend lasse ich den Kopf sinken und bin drauf und dran, es einfach auszusitzen, weil ich genau weiß, wer vor der Tür steht. Wenn ich sie jetzt öffne, war es das mit meinem Bad und der Entspannung. Aber das schrille Läuten hält an und wenn ich nicht will, dass sämtliche Nachbarn um ihren ruhigen Abend gebracht werden, bleibt mir nichts anderes übrig.
Mit wenigen Schritten bin ich an der Tür, öffne sie schwungvoll und sehe den Ruhestörer an. »Ez. Lange nicht gesehen. Was verschafft mir die Ehre so spät noch?«
Endlich zieht er seinen Finger vom Klingelknopf, während mich seine dunklen Augen amüsiert und unsicher zugleich mustern. Unwillkürlich muss ich lächeln. Einen Moment lang sehen wir uns nur an. Führen eines unserer vielen, wortlosen Gespräche. Eines, das entscheidet, welchen Kurs wir dieses Mal einschlagen. Den neckischen, den herausfordernden oder geht es doch in die leider viel zu selten vorkommende ruhige Richtung.
»Kann ich heute bei dir pennen?«, fragt er schließlich und macht bereits Anstalten, sich in meine Wohnung zu drücken. Erst jetzt fällt mir der Rucksack auf, den er mit in Vancouver hatte. Bevor ich überhaupt reagieren kann, lässt er eben diesen im Flur fallen und stapft geradewegs in meine Küche.
»Ez!«, rufe ich ihm fassungslos hinterher.
Er hält inne, dreht sich um und tippt sich an den Kopf. »O ja. Da war ja was.« Demonstrativ zieht er seine Schuhe aus, hält sie hoch und stellt sie ordentlich neben die Tür. Mit einem missbilligenden Blick mustert er meine Pumps, die ich mitten im Flur habe liegen lassen. Einer umgekippt auf der Seite, der andere ein Stück entfernt. Ezra hebt sie auf und atmet geräuschvoll aus. »Dass ich solch eine Unordnung bei dir noch erleben darf.«
»Ez!«, wiederhole ich nur, schließe die Wohnungstür und schüttle den Kopf. »Was tust du hier?«
»Hab ich doch gesagt. Ich penne heute bei dir. Vielleicht auch morgen und übermorgen.« Wieder geht er Richtung Küche und ich folge ihm. Er öffnet den Kühlschrank und steckt den Kopf hinein.
»Nein! Du wirst ganz sicher nicht hier übernachten. Erst recht nicht für mehrere Tage!«, protestiere ich aufgebracht.
»Komm schon, Roro. Du wirst mich gar nicht bemerken.«
»Das bezweifle ich aber ganz stark.« Ich gehe zu ihm in die Küche und lehne mich gegen die Wand. Er hat den Kühlschrank wieder geschlossen und nimmt sich jetzt meinen Vorratsschrank vor.
»Da ist auch nichts drin«, murre ich.
Er hält inne, dann richtet er sich auf und sieht mich an. »Du hast nichts zu essen im Haus?«
Kopfschüttelnd schiebe ich meine Brille nach oben. »Nur Joghurt und Müsli. Warum willst du überhaupt hier übernachten? Haben sich ein paar deiner verflossenen Liebschaften vor deiner Wohnung versammelt und fordern ihr Herz zurück?«
Er schnaubt lachend. »Du würdest sie noch anfeuern und mit Kuchen füttern, richtig?«
»Wenn die Kuchen essen würden«, nuschle ich, Ezra versteht es trotzdem. Er nickt ergeben und kommt einen Schritt auf mich zu, greift hinter mich und zieht die Zettel der Lieferdienste aus dem Regal.
»Ach Roro-Kätzchen. Nicht jede Frau hat deine Gene und deinen heißen Körper. Glaub mir. Bei allem, was du täglich in dich hineinschaufelst, habe ich schon oft überlegt, ob dein morgendlicher Lauf alles an Ausdauersport ist.«
Oh, Ezra. Ich recke mein Kinn und funkle ihn vielsagend an. Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er versteht und das Gesicht verzieht. »Rowan! Ernsthaft? Du hast schon wieder einen gehabt?«
Ich zucke nur mit den Schultern. Es ist diese eine kleine Wette, die wir seit geraumer Zeit am Laufen haben. Diese eine winzige Herausforderung, die ihn tatsächlich zur Weißglut bringt. Es ist Wochen her, dass er mir ein mögliches Date versaut hat und selbstzufrieden mit einer Blondine von dannen gezogen ist. Ich habe Rache geschworen und mich bei der nächstbesten Gelegenheit revanchiert. Irgendwie ist daraus eine kleine Challenge geworden und ich habe keine Ahnung, warum überhaupt. Ich weiß nur, dass ich Ezra schon das ein oder andere Mal zu einer züchtigen Bettruhe verdonnert habe. Er behauptet, auch mir den ein oder anderen Kerl madig gemacht zu haben, doch die Wahrheit ist, dass ich seit besagtem Abend keinen getroffen habe, mit dem ich mir ein Date oder eine Nacht hätte vorstellen können. Ich liebe es einfach zu sehr, ihn auflaufen zu lassen. Daher deute ich gern an und überlasse den Rest seiner Vorstellungskraft – von der er ganz offensichtlich mehr als genug besitzt.
»Komm schon! Wen und wann?«, fragt er neugierig.
»Übernachten, Ez. Warum willst du hier übernachten?«
Er mustert mich noch eine ganze Weile, in der er mir immer näher kommt. Nur eine kleine Bewegung und ich würde ihn berühren, nur ein tiefer Atemzug und meine Brust würde gegen seine stoßen. Es ist verrückt, was Ezra in mir auslöst. Dieser Kerl macht mich rund um die Uhr wahnsinnig, er treibt mich mehr als einmal in zwei Minuten zur Verzweiflung, lässt nichts aus, um mich in irgendeiner Art und Weise zu ärgern. Und doch ist es diese seltsame Ruhe, die sich gleichzeitig in mir ausbreitet. Dieses Gefühl, nur bei ihm auch wirklich ich selbst sein zu können. Er spürt, wenn es mir nicht gut geht, wenn ich nicht in Laune bin, mich mit ihm zu messen. Dann kommen diese kurzen Momente zum Vorschein, die ihn so unfassbar liebenswert machen. Die sanfte Seite eines Rockstars, der von sich behauptet, genau diese nicht zu besitzen. Ich habe sie schon gesehen, sie am eigenen Leib zu spüren bekommen.
»In meinem Gebäude gab es einen Rohrbruch.« Er sagt es, als wäre es keine große Sache.
Ich reiße erschrocken die Augen auf. »O mein Gott. Ist deine Wohnung auch betroffen?«
Er neigt den Kopf, ein schelmisches Grinsen im Gesicht. »Hat dir schon mal jemand gesagt, wie süß du aussiehst, wenn du dir Sorgen machst?«
Dieser Kerl ist wirklich unglaublich! Fassungslos schüttle ich den Kopf, hebe meine Arme und lasse die Luft geräuschvoll entweichen. »Was ist mit deiner Wohnung?«
»Der geht es gut, denke ich. Die obersten Stockwerke sind nicht beeinträchtigt. Aber das Erdgeschoss, und da das Wasser und der Strom im gesamten Gebäude abgestellt werden mussten, haben sie mir nahegelegt, für die nächsten ein, zwei Nächte woanders unterzukommen. Und hier bin ich.«
»Ja. Hier bist du. Warum nicht bei Blake, Cole oder Liam?«
»Blake hat Ally morgen zum Frühstück eingeladen. Wäre zwar recht amüsant, mit ihnen am Tisch zu sitzen, aber nein. Cole geht nicht an sein Handy und Liam wohnt zu weit weg.«
Ich lache auf. Liams Wohnung ist exakt drei Etagen über mir. »Ez. Ich wollte gerade … Scheiße!« Das Wasser! Abrupt drücke ich mich an ihm vorbei und renne ins Bad, wo ich nicht mehr ganz rechtzeitig den Hahn ausdrehen kann. »Verdammt!« Stöhnend greife ich nach den ersten Handtüchern und beginne, den Schaum und die Pfützen von den hellen Fliesen aufzuwischen. So eine schöne Scheiße!
»Alles okay, Roro?« Ezra betritt das Bad und bleibt stehen. »Oh«, sagt er mit einer Andeutung in der Stimme, die mir verrät, dass gleich noch mehr kommt. »Kätzchen, hättest du was gesagt, wäre ich früher gekommen und hätte Wein und Kerzen mitgebracht.«
Kapitel 2
Blake
Rowan hält nur den Bruchteil einer Sekunde inne, ehe ihr Kopf zu mir herumfliegt. Und da ist es. Dieses kleine Zucken ihres rechten Auges. Ich weiß, wie sehr sie meinen Kosenamen für sie hasst. Es ergeht ihr ähnlich wie damals in der Schule, wenn die Lehrer mit ihren Fingernägeln über die Tafel kratzen. Aber ich liebe es, sie derart zu reizen, ihre Aufmerksamkeit damit vollends auf mich zu lenken. Es klappt jedes Mal. Und ich genieße es.
Sie wirft eines der nassen Handtücher nach mir, doch ich fange es gekonnt auf.
»Wein und Kerzen? Seit wann fließt romantisch angehauchtes Blut durch deine Adern?«, fragt sie und widmet sich wieder der Pfütze.
»Tut es nicht. Ich weiß nur, was Frauen gern hören«, gebe ich frech zurück und werfe das Handtuch retour.
Sie quietscht, als es in der Badewanne landet und das Wasser spritzt. »Hey! Du willst hier übernachten, richtig? Dann mach dich nützlich und gebe mir keinen Anlass, dich vor die Tür zu setzen.«
Das würde sie nie tun.
»Und ob ich das tun würde«, sagt sie in dem Moment, in dem ich diesen Gedanken überhaupt erst habe. Unheimlich.
Ohne weitere Faxen knie ich mich neben sie und helfe ihr, den Boden zu trocknen. Rowan steht auf, krempelt ihre Bluse an einem Arm hoch und lässt ihn vorsichtig ins Wasser gleiten, um den Abfluss zu öffnen. Erneut schwappt ein wenig über, was sie fluchend aufstöhnen lässt und ich mit einem Lachen kommentiere.
Ihre Augen blitzen in meine Richtung. »Dir ist schon klar, dass ich dich hierfür verantwortlich mache, oder?«
»Mich? Ich habe überhaupt nichts getan!« Unschuldig hebe ich die Hände und versuche den Dackel-Welpen-Blick. Vergebens. Wie immer hält sie an ihrer Fassade fest. O Rowan. Das feuert mich nur noch mehr an.
»Du bist hier aufgetaucht.«
Ich grinse frech. »Und ich weiß, dass du dich darüber freust.«
Sie verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. »Ein ruhiges Bad. Einfach nur ein schönes und entspanntes Bad. Mehr wollte ich nicht. Stattdessen bekomme ich dich«, mault sie theatralisch.
Was für ein freches Stück! Ich liebäugle damit, eine Handvoll Wasser in ihre Richtung zu spritzen, während ich sie durch zusammengekniffene Augen mustere. Sie zuckt nicht einmal mit den Mundwinkeln.
»Du brichst mein Herz, Roro-Kätzchen.«
Ein kurzes Knurren dringt aus ihrer Kehle, was mich jedes Mal so unglaublich amüsiert. Schließlich habe ich ihr genau deswegen diesen Spitznamen verpasst.
»Es wächst schon wieder zusammen, Ezra.« Überdeutlich betont sie meinen Namen, geht zu einem grauen Sideboard und holt frische und vor allem trockene Handtücher heraus. Schwungvoll wirft sie eins in meine Richtung und deutet auf den Boden. »Nicht quatschen, putzen.«
Ich salutiere und mache mich daran, die restlichen Wasserpfützen aufzuwischen. Rowan hebt den triefnassen Badvorleger hoch und verfrachtet ihn in die mittlerweile leere Wanne.
»Ich denke, wir haben alles«, sage ich und stehe auf. »Willst du noch baden gehen?«
Sie hält inne, dreht sich in Zeitlupe zu mir und grinst wissend. »Ich soll mich nackt da hineinlegen und entspannen, während du in meiner Wohnung bist?«
Etwas regt sich in mir, als sie deutlich macht, wie man in der Regel baden geht, und ich kann nicht leugnen, dass es mich verwirrt. Dieses kurze Aufblitzen meiner schmutzigen Fantasie, was ich alles mit einer nackten Frau in der Wanne anstellen könnte, überrumpeln mich. Aber ich bremse mich, bevor sie Gestalt annehmen. Das. Ist. Rowan. Absolut Tabu für solche Gedanken. »Ich stelle schon nichts an.«
»Aha.« Sie nickt übertrieben und schüttelt dann den Kopf. »Keine Chance, Ezra. Duschen ist das Höchste der Gefühle, was ich mir gönnen werde.«
»Und du glaubst, das geht schneller? Ich kann mich noch an L.A. erinnern, wo wir fast eine Stunde auf dich gewartet haben, weil du duschen musstest.«
»Irrtum, mein Lieber. Ihr habt nicht auf mich gewartet, weil ich mich frisch gemacht habe, sondern weil ihr fast die ganze Nacht wach geblieben seid, mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geholt habt, um mir euren neuen Song vorzuspielen. Ich habe gesagt, vor sieben braucht mich keiner anrufen oder an der Zimmertür klopfen. Es war halb vier, Ezra. Halb vier! Und ich bin erst um zwei ins Bett. Da wird es mir ja wohl vergönnt sein, in Ruhe zu duschen, um zumindest annähernd wie ein Mensch auszusehen, oder?«
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Wir haben gewartet«, sage ich schlicht, was ihr ein leises Stöhnen entlockt.
»Dann bist du darin ja geübt.« Sie dreht sich wieder um, hängt zwei große Handtücher neben die Dusche und öffnet dann einen Knopf ihrer Bluse. Was zur Hölle tut sie da?! Fassungslos beobachte ich sie, doch nach dem zweiten ist Schluss. Langsam lässt sie die Arme sinken, und sieht mich auffordernd an. »Raus hier!«
Ich beschließe, sie zu foppen. »Ich soll dir nicht beim Duschen helfen? Stell dir vor, wie viel Spaß –« Weiter komme ich nicht, denn sie unterbricht mich mit einem herzlichen und so ernst gemeinten Lachen, dass sich ein kleiner Stich in meiner Brust meldet.
»Das«, prustet sie los und zieht eine Augenbraue hoch, »wird in deinen kühnsten Träumen nicht passieren, klar? Und jetzt raus hier, Ezra Lewis. Setz dich im Wohnzimmer auf die Couch und beweg dich nicht, bis ich bei dir bin.«
Einen Moment lang mustere ich sie noch. Sie meint das ernst. Sie meint es tatsächlich ernst. Nicht, dass ich wirklich darauf aus wäre, mit ihr zu duschen, sie nackt vor mir stehen zu haben, während das Wasser über ihre makellose Haut fließt. Dennoch löst ihre Abfuhr, die ich ihr auch jederzeit erteilen würde, etwas in mir aus, womit ich nicht gerechnet habe. Ein Hauch von Enttäuschung. Ich habe nur keine Ahnung, warum. Ich muss gestehen, dass ich sie bei unserem Wiedersehen vor über zwei Jahren genau so gesehen habe. Unter mir, in meinem Bett. Aber sie ist zu viel mehr geworden als das. Sie ist eine Freundin, meine Familie. Noch nie habe ich eine Frau so sehr respektiert wie Rowan.
»Ezra«, erinnert sie mich belustigt und wedelt mit ihrem Zeigefinger in Richtung Tür.
»Ich geh ja schon«, antworte ich und hebe ergeben die Hände.
Kurz bevor ich sie im Schloss einrasten lasse, grinse ich, stoße sie abrupt auf und halte meinen Kopf ins Bad.
»Verdammt, Ez!« Rowan dreht sich schlagartig um und hält ihre Bluse fest vor der Brust verschlossen.
Ich mustere sie gespielt anzüglich, lache dann aber und sehe in ihre funkelnden grünen Augen. »Ich wollte nur fragen, ob ich uns 'ne Pizza bestellen soll?«
»Du bist unmöglich«, stellt sie wieder einmal fest.
»Heißt das ja? Gemüsepizza, wie immer?«, frage ich betont unschuldig.
»Ja. Pizza mit viel Gemüse und extra viel Käse.« Rowan kommt auf mich zu und legt ihre warme Hand auf meine Brust. Einen Moment hält sie inne und auch ich atme tief ein. Ich spüre, wie sich ihre Finger ganz sanft bewegen, dann blinzelt sie und erhöht den Druck. Energisch schiebt sie mich zurück und schließt die Tür vor meiner Nase, noch bevor ich fragen kann, was an dem heutigen Tag so anstrengend war, dass sie extra Käse braucht. Instinktiv fasse ich an die Stelle, die sie berührt hat und kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Langsam drehe ich mich um, ziehe mein Handy aus der Tasche und schreibe eine Nachricht.
Ich: Willst du 'ne Pizza?
Nur Sekunden später ist Liams Antwort da.
Liam: Ich fahre jetzt nicht zu dir, um 'ne Pizza zu essen.
Ich: Musst nur drei Stockwerke runter laufen. Bin bei Roro.
Liam: Bei Roro? Was machst du da?
Ich: Gibt weder Wasser noch Strom bei mir. Ich penne heute hier.
Liam: Shit. Okay. Bestell mir irgendeine. Hauptsache scharf. Bin in zwei Minuten da.
Gerade, als ich die Bestellung aufgegeben habe, klingelt es. Liam steht vor der Tür und hält ein Sixpack Bier in die Höhe. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Roro nichts im Kühlschrank hat.«
Grinsend folge ich ihm in die Küche. »Guter Mann.«
»Wer hat da geklingelt?«, höre ich Rowans dumpfe Stimme aus dem Bad und kurz darauf streckt sie den Kopf heraus, ihre langen roten Haare sind unter einem riesigen Handtuch versteckt.
»Liam«, sage ich im selben Moment, wie dieser »Hi« ruft.
Rowan lässt einen lauten Seufzer los. »Jungs. Ernsthaft?«
»Gibt Pizza«, meint Liam, als würde das alles erklären, und für mich tut es das auch.
Seufzend verschwindet sie wieder im Bad, nur um fünf Minuten später in einen Bademantel gekleidet im Wohnzimmer aufzutauchen. Sie wedelt verständnislos zwischen Liam, dem Bier und mir hin und her. »Achtundvierzig Stunden. Verdammt lange und laute zwei Tage habe ich mit euch verbracht. Im Tourbus geschlafen, weil unsere Hotelbuchung zu allem Übel nicht geklappt hat, und kein Auge zugetan. Irgendeiner meinte immer, Lärm zu machen. Ich musste mit euch um mein Frühstück kämpfen, mich mit der Produktionsfirma rumschlagen und ihnen eure Wünsche erklären. Oh, und da wäre die Tatsache, dass ich nur die Hälfte der Mahlzeiten essen konnte, weil ihr mir ständig alles weggegessen habt. Von euren superwitzigen Gags, die Klamotten zu verstecken, mal ganz abgesehen. Zu allem Überfluss habe ich heute noch meinen verdammten Kaffee verloren! Und jetzt seid ihr schon wieder da!«
Sie klingt so herrlich verzweifelt, dass ich lachen muss. Mit wenigen Schritten bin ich bei ihr, schlinge meine Arme um sie und gebe ihr einen lauten Schmatzer auf die Stirn.
»Ach Roro-Kätzchen.« Ich warte auf das kurze Zucken und sie enttäuscht mich nicht. »Deine Pizza mit extra viel Käse und Gemüse ist auf dem Weg hierher und ein Bier schadet dir auch nicht. Mehr werden von uns nicht kommen, versprochen.«
»Das stimmt so nicht ganz«, meldet sich Liam und hält sein Handy hoch.
»Was?«, fragt Rowan fast schon verzweifelt und drückt sich von mir ab, nicht ohne mir noch einen heftigen Hieb gegen die Brust zu versetzen.
»Cole ist schon unterwegs.«
»Und kommt Blake etwa auch noch?« Sie schiebt ihre Brille auf der Nase zurecht und kneift die Augen zusammen.
»Ich kann ihn fragen.« Liam zuckt die Schulter und tippt bereits auf seinem Handy herum. »Aber ich glaub, der ist schon ganz verrückt, weil Ally morgen zum Frühstück kommt. Mit dem ist heut nichts mehr anzufangen.«
Für einen Moment bleibt sie stumm stehen. Ihre Miene ist immer noch ein Wechselbad zwischen Verwirrung, Unglaube und Frustration, doch auch einen kleinen Funken von Belustigung entdecke ich darin. Sie kennt uns. Schon seit der Highschool. Und sie weiß, dass es entweder das gesamte Paket oder gar keinen von uns gibt. Wir sind eine Familie.
»Okay. Ich geb's auf. Im Schrank sind noch Chips, Schokolade und Weingummis. Ich ziehe mir schnell was an.«
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